Trossachs Nationalpark: Wo die Highlands beginnen

Kein schottischer Nationalpark ist so beliebt wie der Trossachs. Er lockt jedes Jahr Hunderttausende Besucher an und lässt dennoch der Natur ihren Raum.
17. Dezember 2024
Lesezeit: 6 Minute(n)

Vor dem Pub „Oak Tree Inn” in der Ortschaft Balmaha am südlichen Ufer des Loch Lomond sitzen die Gäste draußen in der Sonne. Ihre Wanderstöcke haben sie gegen die Bänke gelegt. Eine Gruppe Fahrradfahrer fährt laut klingelnd auf der Straße vorbei. Derek Dawson, Ranger im Trossachs Nationalpark , sitzt unter der 500 Jahre alten Eiche, die dem Pub ihren Namen gegeben hat. Derek nimmt einen Schluck aus seinem Bierglas, lehnt sich bequem zurück und schaut über den See. „Die Landschaft des Trossachs ist einmalig”, sagt er.

Der Trossachs ist der älteste Nationalpark Schottlands. Eine Wald gewordene Verschaufpause vom Alltag. Berge und Seen beherrschen die fast 1900 Quadratkilometer große Szenerie. Im Sommer liegt der Duft von Baumharz in der Luft. Über dem dunklen Grün der Baumwipfel leuchten in der Ferne die weißen Gipfel der Highlands. „Der Trossachs ist etwas für alle diejenigen, die die Natur in ihrer ganzen Ursprünglichkeit erleben wollen”, berichtet ein begeisterter Besucher im Jahr 1791. Man kann mit gutem Grund behaupten, dass der schottische Tourismus im Trossachs erfunden wurde.

Das Zentrum des Trossachs ist der See Loch Lomond

Fahrt über den Loch Lomond

Kein anderer Nationalpark in Schottland ist so leicht zugänglich. Der Trossachs liegt vor den Toren Glasgows, und von der Glasgower Innenstadt sind es mit dem Zug bis zum kleinen Bahnhof Balloch am Loch Lomond kaum 90 Minuten. Tausende Besucher strömen an den Wochenenden und im Sommer an den See. Bereits in 1930er Jahren wurde überlegt, wie sich die richtige Balance zwischen dem alljährlichen Besucheransturm und den Belangen der Natur finden ließe. Doch es dauerte weitere 70 Jahre, bis der Nationalpark 2002 eröffnet wurde.

Das Zentrum des Trossachs ist der See Loch Lomond, vielfach besungen und gefeiert in Liedern und Gedichten. Der Schriftsteller Sir Walter Scott kam an den See, um für seinen Roman „Rob Roy” über den gleichnamigen schottischen Rebellen zu recherchieren. Der deutsche Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) wäre bei einem Ruderausflug auf dem See fast gekentert. Mendelssohn war trotz des kleinen Malheurs von der schottische Landschaft so begeistert, dass er nach seiner Rückkehr die Ouvertüre „Die Hebriden” komponierte.

Der Nationalpark bietet rund 200 Vogelarten sowie seltenen Pflanzen eine Heimat. Es gibt zahllose Freizeitmöglichkeiten, und Loch Lomond ist nur einer von vielen Seen, die einen Ausflug lohnen. Doch das wahre Geheimnis des Trossachs liegt tief im Erdreich verborgen: Nur wenige Meter vom „Oak Tree Inn” entfernt, wo Derek in der Sonne sitzt und sein Bier genießt, fangen aus geologischer Sicht die Highlands an.

Eine viele Millionen Jahre alte Landschaft

Trossachs Nationalpark: Blick über den Loch Lomond

Die Gäste des Pubs sitzen quasi auf einer 470 Millionen Jahre alten Bruchkante, die die Highlands von den Lowlands trennt. Diese Erdfalte ist der Highland Boundary Fault. Jeder einzelne der 282 höchsten schottischen Berge, die Munros genannt werden, befindet sich nördlich des Highland Boundary Fault.

Die Inseln im Loch Lomond markieren die Erdfalte. Inchcailloch, Creinch und Inchmurrin liegen entlang des Highland Boundary Faults aufgereiht auf der Wasseroberfläche wie eine Perlenkette. Zahlreiche Fähren und Ausflugsboote sind zu diesen Inseln unterwegs. Doch kein Ausflugsdampfer unternimmt diese Fährdienste so charmant wie das kleine, ehemalige Postboot „Margaret”. Sie liegt gemeinsam mit zwei Schwesterschiffen vertäut im verträumten Hafen der Ortschaft Balmaha. Einen regulären Fährbetrieb gibt es nicht. „Margaret” fährt nur bei Bedarf und bringt ihre Gäste dann zur Insel Inchcailloch, die sich im südlichen Teil des Sees befindet.

Eine Fahrt über den Loch Lomond

Bootsfahrt im Sonnenschein

Schon seit vier Generationen tuckert die Eignerfamilie Macfarlane mit ihren Holzbooten über den See. Vor rund 150 Jahren wurde der Fährbetrieb von Sandy Macfarlane, dem Ur-Opa des heutigen Besitzers, gegründet. Früher transportierten die Boote keine Touristen zu den Inseln, sondern Lebensmittel, Düngemittel oder die Post.

Auf dieser Fahrt hat „Margaret” sieben Passagiere, die alle draußen sitzen und sich den Fahrtwind durch die Haare wehen lassen. Das kleine Boot stampft, schnaubt und schiebt sich durch die Wellen, die gegen die Bug schwappen. Wenn sich die Bäume am See für einen Moment lichten, ist zur Landseite hin der Fernwanderweg Westhighland Way zu sehen. Auf der Seeseite dümpeln die schicken Jachten wohlhabender Glasgower auf ihren Liegeplätzen. Inchcaillon hat vom Wasser aus betrachtet die Form eines überdimensionalen Maulwurfshügels, auf den „Margaret” nun direkt zusteuert.

Der Trossachs markiert auch eine kulturelle Grenze zwischen Highlands und Lowlands

In der Ferne sind die Highlands zu sehen

Die Insel ist ein Beleg dafür, dass der Trossachs nicht nur die geologische Grenze zwischen den Highlands und den Lowlands markiert, sondern auch eine kulturelle. Zu Zeiten von Queen Victoria muss den Besuchern die glatte Oberfläche des Sees vorgekommen sein wie eine blank polierte Schwelle auf ihrem Weg in das große Unbekannte, in dem Gälisch geprochen wurde und die ungeschriebenen Gesetze der Highlands galten.

Die Insel Inchaillon war fest in der Hand der Clans. Hier bestattete der Clan McGregor seine Toten. Wie es dabei zuging, beschreibt im 18. Jahrhundert ein unbekannter Zeitzeuge mit einigem Erstaunen: „Die meisten Teilnehmer der Beerdigung waren Highlander. Vom ersten bis zum letzten Mann genehmigte sich jeder von ihnen zwanzig Runden eines Getränks, das sie Whisky nannten. Sie waren danach so ausgelassen und munter, dass sie fast vergaßen, den Leichnam zu bestatten.”

Auf alten Gräbern wachsen Glockenblumen

Im Mai ist der Boden übersäht mit Glockenblumen

Auf den alten Gräbern wachsen im Mai violette Glockenblumen. Die Ruine einer kleinen Kirche ist im Schatten der alten Eichen kaum zu erkennen. Die vergangenen Jahrhunderte haben eine grüne Schicht aus Moos und Flechten wie feinen Puder auf die Grabsteine gelegt. Doch die Namen und die in Stein gehauene Tiermotive wie Ochsen und Schafe sind noch immer erstaunlich gut zu erkennen.

Der Nationalpark ist mehr als ein Naherholungsraum für gestresste Großstädter. Im Trossachs wächst allein ein Viertel aller wilden Pflanzenarten, die es in Großbritannien gibt. Der britische Vogelschutzverein Royal Society for the Protection of Bird (RSPB) betreibt im Park mehrere Naturpfade und Umweltschutzprojekte.

Der hier veröffentlichte Beitrag ist in einer längeren Fassung in Heft 11 erschienen https://www.schottland-magazin.de/produkt/schottland-magazin-heft-11/