Auf dem Berg Arthurs Seat in der schottischen Hauptstadt Edinburgh machten Kinder im Jahr 1836 eine seltsame Entdeckung: Sie fanden über ein Dutzend kleine, geschnitzte Holzpuppen, die versteckt in einer Felsspalte lagen. Für sich allein genommen sahen die Püppchen aus wie daumengroße Kinderspielzeuge. Wäre da nicht ein weiterer Umstand gewesen, der bis heute Rätsel aufgibt: Alle Püppchen lagen in kleinen, eigens gefertigten Holzsärgen.
War Arthur´s Seat der Schauplatz einer symbolischen Beerdigung geworden? Spielte Aberglaube eine Rolle? Oder war gar Hexenzauber am Werk? „Die kleinen Puppen sind wohl die mysteriösesten Gegenstände, die je auf Arthur´s Seat gefunden wurden”, sagt Rachel Pickering von der Denkmalschutzbehörde Historic Scotland.
Arthurs Seat bestimmt die Silhouette von Edinburgh
Doch auch der Berg selbst bietet Gelegenheit zum Wundern und Staunen: Er bestimmt die Silhouette von Edinburgh; ein 251 Meter hoher Felsklotz aus Basalt und Sandstein, eingefasst vom Parkgelände Holyrood Park. Arthur´s Seat ist Aussichtspunkt und Wahrzeichen. Hier versammelten sich Revolutionäre. Priester und Forscher. Es ist, als wäre die Geschichte von Edinburgh im Gestein hinterlegt.
„Wollen wir losgehen?”, fragt Melissa und schaut erwartungsvoll in die Runde. Sie steht am westlichen Eingang zu Holyrood Park. Die junge Frau in Wanderschuhen und wetterfester Jacke gehört zu den Rangern, die sich um die Natur im Park kümmern und Besuchern die landschaftlichen Besonderheiten erklären. Hinter ihr auf der Straße fahren offene Touristenbusse vorbei, Besuchergruppen flanieren in Richtung der Innenstadt. Melissa dreht dem Tamtam den Rücken zu und führt ihre Gruppe in den Park hinein. Es geht bergauf, und schon nach wenigen Minuten ist von dem Trubel zu Füßen von Arthur´s Seat nicht mehr viel zu hören.
Arhurs Seat in Edinburgh ist ein 350 Millionen Jahre alter Vulkan
Wo heute die Doppeldeckerbusse fahren, spuckten damals gewaltige Vulkane Lava und Aschewolken in die Luft. „Die gesamte Region bestand damals aus einer tropischen Lagunenlandschaft”, schreibt der Geologieprofessor Brian Upton in seinem Buch „Volcanoes and the Making of Scotland”. Fossile Reste dieser Lagunenlandschaft sind bis heute auf Arthurs Seat in Edinburgh zu sehen. Dem Geologen James Hutton (1726-1797) halfen die Felsformationen bei seinem Beweis, dass die Welt nicht, wie in der Bibel beschrieben, an sieben Tagen entstanden war, sondern im Laufe von Jahrmillionen. Hutton gelang damit eine wissenschaftliche Sensation. Er gilt bis heute als der Begründer der modernen Geologie.
Die Landschaft, auf die Hutton schaute, sieht von oben aus wie die Knochen eines Brustkorbs. Die Rippenbögen auf der westlichen Seite heißen Salisbury Craigs. Dort befindet sich auch die „Radical Road”. Das ist ein Weg, der um 1820 als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für aufständische Weber angelegt wurde. Die Rippenbögen auf der östlichen Seite werden vom Felsmassiv von Whinny Hil gebildet. Der Gipfel Arthur´s Seat ist das Rückrat, das Mark und Bein des Parks.
Auf erkalteten Lavaströmen geht es nach oben
Ein Wanderweg führt auf erkalteten Lavaströmen bis nach oben. Auch wenn der Krater durch die Erosion sein ursprüngliches Aussehen verloren, lohnt sich der Aufstieg: Die Grafschaft Fife auf der anderen Seite der Förde Firth of Forth ist zu sehen, bei gutem Wetter lassen sich im blauen Dunst die Highlands erahnen. In Richtung Osten ist Traprain Law zu sehen, ein weiterer erloscher Vulkankegel.
Für die Besucher heutzutage mag es ein Vergnügen sein, den Blick kilometerweit schweifen zu lassen. Sie machen sich dabei kaum bewusst, dass sie auf einen Verbund von alten Siedlungsanlagen schauen, die alle durch Sichtachsen miteinander verbunden waren. „Im Park sind vier alte Siedlungsanlagen aus der Bronze- und Eisenzeit nachgewiesen worden”, sagt Melissa.
Diese Siedlungen sind auf den ersten Blick kaum auszumachen. Jogger und Spaziergänger gehen an den aneinander gereihten Steinen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Man braucht ein geschultes Auge, um die Terrassen zu erkennen, die die Bauern aus der Eisenzeit angelegt hatten, um dort ihr Getreide zu pflanzen.
Der umliegende Park soll möglichst unangetastet bleiben
Für die Einwohner des heutigen Edinburgh ist Arthur´s Seat in erster Linie ein Naherholungs- und ein Naturschutzgebiet. Ein Gegenentwurf zu dem urbanen Leben in der Innenstadt mit ihren Bars und Geschäften. Schutzmaßnahmen sollen dabei helfen, dieses Fleckchen Natur samt der dort lebenden seltene Insekten- und Vogelarten zu bewahren.
Daher wird Holyrood Park auch in Zukunft möglichst unangetastet bleiben. Und so gibt es nur wenige Versuche, dem Park weitere Geheimnisse zu entreißen. Die Universität Stirling beispielsweise untersucht derzeit Fossilien am Arhur´s Seat und erhofft sich davon Aufschlüsse über die vorzeitliche Pflanzenwelt. Doch solche Wissenschaftsprojekte sind eher die Ausnahme.
Die geheimnisvollen Holzpüppchen befinden sich derweil im National Museum of Scotland in Edinburgh. Sie schauen ihre Betrachter mit großen, aufgerissenen Augen durch die Glasscheibe ihres Schaukastens an. Datiert werden sie auf das 19. Jahrhundert. Trotz aufwändiger Untersuchungen ist ansonsten bis heute unklar, wer die Püppchen in die Felsspalte legte und warum dies geschah. Gerade weil ihr Geheimnis wohl nie gelüftet wird, haben sie die Fantasie unzähliger Generationen von Museumsbesuchern beflügelt. Manchmal gibt der Berg seine Geheimnisse preis. Doch manchmal behält er sie auch für sich.
Arthurs Seat in Edinburgh: Special Geschichte und Geologie
Wo die Hauptstädter frische Luft tanken, ging König David I. (1084-1153) im Mittelalter auf die Jagd. Er verfolgte einen stattlichen Hirschen, doch dieser griff den König plötzlich an. David I. schlug ein Kreuz vor dem Tier – und gab damit dem Park seinen Namen. Holyrood bedeutet nichts anderes als Heiliges Kreuz. Woher allerdings der Name Arthurs Seat kommt, ist unklar. Nur soviel: „Mit der Arthus-Sage hat das nichts zu tun”, sagt Rachel Pickering vom Denkmalschutzamt Historic Scotland.
Ein Spaziergang durch Holyrood Park ist wie eine Reise durch die Erdgeschichte. Als vor rund 350 Millionen Jahren der Vulkan ausbrach, befand sich Schottland nicht an der heutigen, uns vertrauten Stelle, sondern lag am Äquator. Am Steinbruch Camstone ist der Untergrund einer flachen Lagunenlandschaft erhalten geblieben. An der Südseite von Arthurs Seat sind aufrecht stehende Steinsäulen zu sehen, die Samson´s Ribs genannt werden, die Rippen des Samson. Geologen waren schon immer von der Vielfalt der frei liegenden Abbrüche und Felswände angetan. Der Geologe James Hutton gilt als der Gründungsvater der modernen Geologie. Der Abschnitt „Hutton´s Section” in Holyrood Park half ihm, seine wissenschaftlichen Theorien zu belegen.
Der hier veröffentlichte Text ist in Heft 13 erschienen: https://www.schottland-magazin.de/produkt/schottland-magazin-heft-13/