Agnes wacht am Tor

Mit psychologischer Kriegsführung, List und Tücke hielt die Gräfin von Dunbar einst eine ganze englische Armee in Schach.
17. Dezember 2024
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Dunbar befindet sich rund 50 Kilometer östlich von Edinburgh an der Küste von East Lothian; eine niedliche Hafenstadt – und zugleich Schauplatz einer Belagerung, die in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

In der Burg von Dunbar herrschte einst Agnes Randolph, Gräfin von Dunbar, besser bekannt unter ihrem Spitznamen Black Agnes (1312-1369).

Ein halbes Jahr lang verteidigte Agnes ihre Burg gegen übermächtige Feinde, und sie wählte dafür eine Kriegstaktik, die zumindest in der schottischen Geschichte ziemlich einmalig geblieben ist.

Agnes hatte nämlich kaum Soldaten zur Verfügung. In weiten Teilen des Landes tobte der Unabhängigkeitskrieg gegen England, und Agnes Ehemann Patrick, der Earl of Dunbar, war mit allen verfügbaren Männern in die Schlacht gezogen. Agnes musste also zu den Mitteln der psychologischen Kriegsführung greifen.

Die Belagerung begann am 13. Januar 1338 und endete rund ein halbes Jahr später am 10. Juni desselben Jahres. Der Anführer der Engländer, der Earl von Salisbury, versuchte zunächst, sich den Weg mit Katapulten frei zu schießen. Agnes schickte als Antwort eine ihrer Hofdamen auf die Zinnen, die für alle Beteiligten gut sichtbar mit einem weißen Taschentuch ein wenig Staub von der Mauer wedelte.

Sie ließ Brot auf die Angreifer werfen als Zeichen dafür, dass es in der Burg ausreichend Verpflegung gab. An den Sonntagen flanierten die Gräfin und ihre Hofdamen auf der Verteidigungsmauer entlang, um den Engländern zu demonstrieren, wie wenig beeindruckt sie von deren Kriegskünsten waren. Möglicherweise rührt von diesen Ausflügen auch ihr Spitzname her, da sie wohl schwarze Festtagsgewänder trug. Andere Historiker vermuten, der Name Black Agnes sei eine Anspielung auf ihre Haarfarbe.

Rohe Gewalt oder List und Tücke – die Engländer kamen mit der Belagerung einfach nicht voran. Schließlich nahmen sie Agnes Bruder John gefangen und drohten, ihn zu hängen. Doch Agnes rief ihnen aus sicherer Entfernung ermunternde Worte zu: sie könne es kaum erwarten, ihren Bruder hängen zu sehen und seine Ländereien zu erben. Das war nicht die Antwort, die Salisbury von einer liebenden Schwester erwartet hatte. John landete wieder im Gefängnis – und nicht am Galgen.

Nach der monatelangen Belagerung schien sich das Blatt schließlich doch zu wenden. Schließlich gelang es aber einigen schottischen Soldaten, sich heimlich von der Wasserseite her in die Burg zu schleichen. Nun fühlten sich die Belagerten stark genug, einen Ausfallversuch zu unternehmen, und sie hatten Erfolg.

Es dauerte nicht lange, da hatte der Earl of Salisbury die Nase endgültig voll. Entnervt zog er ab. Der Sieg der schottischen Lady über die englische Armee wurde fortan in einer Ballade besungen, in der es heißt:

Cam I early, cam I late, I found Agnes at the gate.”

Morgen oder abends – Agnes wachte (zu jeder Tageszeit) am Tor.